So., 11.06.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Kamikaze Kunst gegen Putin
Die Künstlergruppe YAV
Sie sind wahrscheinlich die einzige russische Künstlergruppe, die bis heute gegen Putin protestiert. Sie nennen sich YAV – Wirklichkeit – und wagen regelmäßig Anti-Kriegs- und Anti-Regierungs-Graffitis zu sprühen. Schon nach wenigen Stunden werden ihre Werke von den Behörden übermalt. Aber auf Instagram leben die Bilder und Videos weiter. Natürlich funktioniert alles nur im Untergrund, denn die Polizei und der Geheimdienst machen Jagd auf die Künstler*innen von YAV. Für die Arbeiten droht ihnen Haft, es hat bereits Festnahmen und Hausdurchsuchungen gegeben.
Ein Teil der Gruppe lebt im Exil, auch die künstlerische Leiterin des Kunstkollektivs Anastasiia Vladychkina: "Ich musste das Land frühzeitig verlassen. Die Polizei kommt samt Staatsanwaltschaft, um unsere Werke zu begutachten. Sie fotografieren und übermalen die Bilder. Einmal haben sie sogar eine Farbprobe genommen."
YAV wagen regelmäßig Anti-Kriegs- und Anti-Regierungs-Graffitis

Ausgereist ist sie nach Georgien. In welcher Stadt die 29-jährige lebt, soll geheim bleiben. Denn sie bekommt Morddrohungen von russischen Behörden. Trotzdem koordiniert Vladychkina aus dem Exil weitere Aktionen gegen Putins Diktatur. "Für unsere neue Arbeit kaufe ich gerade verschiedene Arten von Prothesen – Fuß-, Bein-, Hand- und Kieferprothesen," erklärt sie. Dieses Werk entstand zur Siegesparade in Moskau. Die Militärshow Putins mitten in seinem blutigen Besatzungskrieg.
Das Team vor Ort geht bei der Arbeit immer etappenweise vor. Einen sicheren Ort finden – ohne Überwachungskameras. An einem anderen Tag die Wand vorbereiten. Erst später folgt das Graffiti. Jeder Griff muss sitzen. So wenig Zeit wie möglich sollten sie hier verbringen. Denn für so etwas könnte eine Haftstrafe drohen – wegen der angeblichen Diskreditierung der russischen Streitkräfte. "Die Behörden haben dann schnell ihre Leute geschickt – dabei war es Wochenende! Zuerst haben sie die Prothesen abgeschnitten und dann die Wand übermalt," erzählt Vladychkina.
Anastasiia Vladychkina koordiniert aus dem Exil weiter
Keine fünf Stunden hat das Antikriegs-Werk von YAV überlebt. Als die Behörden das Graffiti zerstören, ist es aber längst im Netz und in aller Munde – aufgegriffen von russischsprachigen Medien und Bloggern im Exil. In Russland herrscht Zensur. "Wenn unser Werk nicht im Internet präsent ist, dann existiert es eigentlich gar nicht. Die meisten Leute erfahren von uns eben übers Netz.“
Eins der bekanntesten Antikriegsaktionen ist "Atomschatten". Schatten von Menschen, die sterben würden – nach dem von Putin angedrohten Atomschlag. In Hiroshima sind von den Opfern nur ähnliche Silhouetten geblieben. "Die Menschen in Russland haben keine Empathie gegenüber Ukrainer*innen. Aber vielleicht beunruhigt sie der Gedanke, dass auch sie im Zuge eines Atomkrieges ums Leben kämen.“
Dem Kreml zum Trotze!

Auch die Atomschatten wurden von Behörden schnell übermalt. Putins Soldaten werden dagegen an jeder Ecke gepriesen. Und das Kriegszeichen "Z" prägt die russischen Städte. Jeder, der es wagt, zu demonstrieren, wird verhaftet. Um ihre Antikriegsbotschaften auf Dauer platzieren zu können, weicht YAV auf die Dächer aus. Roofing ist eine breite Bewegung in St. Petersburg. Bald kommen andere, fotografieren das Bild ab und posten es im Netz. So funktioniert die Sprache der Roofer. Mehrmals wurden YAV KünstlerInnen schon erwischt und von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. Die Aktivisten tauchten unter. Ein Teil des Teams verlässt das Land – auf Dauer.
"Die Repressionen werden weiter gehen. Das war selbst nach dem Tod von Stalin 1953 so – jahrzehntelang, bis zum Zerfall 1991. Sogar in der Zeit von Gorbatschow gab es politische Gefangene.“ Die Kunst von YAV überdauert ihre Zerstörung. Dem Kreml zum Trotze! Die Künstlergruppe hat eine spezielle App entwickelt, mit der die Werke wiederbelebt werden können.
(Beitrag: Roman Schell)
Stand: 11.06.2023 17:58 Uhr
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