So., 11.06.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Zwischen Komik und Tragik
Die Kunst des Ragnar Kjartansson
Der Isländer Ragnar Kjartansson gilt als eine der aufregendsten Stimmen der zeitgenössischen Kunst. Er wirft einen ebenso liebevollen wie kritischen Blick auf unsere westliche Kultur: Liebe, Identität, Melancholie, Männlichkeit, Macht und Ohnmacht sind seine Themen. Die Ausstellung "Epic Waste of Love and Understanding" im Kopenhagener Louisiana Museum wurde schon vor der Eröffnung am 9. Juni als eine der sehenswerten Ausstellungen des Jahres 2023 gehypt, zu sehen sind Zeichnungen, Malerei aber auch Performance und großformatige Raumarbeiten. Soll man lachen oder weinen?
Das Spannungsfeld zwischen Tragödie und Komödie ist zum Markenzeichen des Künstlers geworden – wie zum Beispiel im Video "Me and My Mother", in dem ihn seine Mutter immer wieder anspuckt. "Als Künstler finde ich ein Werk nicht interessant, wenn ich es völlig verstehe," so der Künstler. "Da muss was in der Schwebe bleiben … dieses große Unerklärbare und Unverständliche, was Kunst letztlich ausmacht."
Kunst mit großem Gefühl

Alle fünf Jahre machen Mutter und Sohn dieses Video. Warum? Warum nicht. Aber familiär muss man das erstmal durchhalten. Kunst mit großem Gefühl, komisch und tragisch. Und sowas von lässig. Viele Videos, viel melancholische Musik. Und überhaupt geht es viel um diesen schillernden Typen: Ragnar Kjartansson aus Reikjavik. Musiker, Maler, Performance-Künstler, mit abgründigem Humor und nordischer Weisheit.
"Mein Vater Kerten, ein Russe, inszenierte Theaterstücke von Tschechow. Als ich ein Teenager war, sagte er zu mir: 'Heute geb' ich dir die wichtigste Lehre fürs Leben'. Er trank Cognac, rauchte eine Zigarre, es war Heiligabend. 'Es ist schön und traurig, ein Mensch zu sein'." Große Worte ziehen sich monumental durch seine ganze Kunst: Auf den Salz- und Pfefferstreuern steht Angst und Schuld. Unser Gewürz fürs täglich Brot. Vor dem Louisiana-Museumin Kopenhagen: eine Säule mit dem Ausstellungstitel, übersetzt: "Diese epische Verschwendung aus Liebe und Verständnis."
Das Schwere leicht aussehen lassen
"Ich hatte einen Streit mit meiner Frau Ingeburg, bei dem sie diesen wunderbaren Satz fallen ließ: `Ich hoffe, dass das nicht wieder diese epische Verschwendung aus Liebe und Verständnis ist!´ Und ich: stopp, stopp, stopp, das muss ich gleich aufschreiben," erzählt Kjartansson. "Menschen sind einfach kompliziert. Es gibt viel epische Verschwendung aus Liebe und Verständnis. Überall. So ist das halt."

Am besten kommt Kunst daher, als wenn sie nur ein Hobby wäre, sagt Kjartansson. Just for Fun. Das Schwere leicht aussehen lassen. Für die Biennale in Venedig hat er sechs Monate lang tagtäglich einen Freund gemalt. 144 Bilder vom demselben Typen in Unterhose. Schlägt sich in seiner Wohnung die Zeit tot. Wie Männer halt so rumhängen. Aber Kjartansson hat die Serie kurz nach der Finanzkrise 2008 gemalt, als Broker ihre Jobs verloren und sie das Leben anderer ruiniert hatten.
"Der Börsenzusammenbruch wurde in diesem total männlichen Milieu der Investmentbanker ausgelöst. Größer, besser, mehr, Jungs beim Spielen." Und dann brach alles zusammen. Und diese ganze Männlichkeit war mit am Ende. Das war die Idee bei dem Werk. Ragnar Kjartansson, so ein lässiger, Freigeist hat uns noch gefehlt. Und es gibt keinen magischeren Ort, als das Louisiana Museum of Modern Art bei Kopenhagen, um in seine Kunst einzutauchen.
(Beitrag: Ralf Dörwang)
Stand: 11.06.2023 17:59 Uhr
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