So., 26.03.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Göttin des Gemetzels – Yasmina Reza im Porträt
Eine psychiatrische Anstalt. Darin leben: Philippe, felsenfest davon überzeugt, ein Schwarzer zu sein. Und Jacob, der sich für die Sängerin Céline Dion hält. Zwei junge Männer, die auf ihrer Suche nach Identität biologische Grenzen ignorieren. Eine wundersame Freundschaft.
"Spielst du Djembé?"

Generalprobe am Münchner Residenztheater. Eine Weltpremiere steht an: "James Brown trug Lockenwickler". Das neue Stück vom französischen Theatersuperstar Yasmina Reza. Mit Dialogen wie diesen: "Weil ich schwarz bin, musst du mir erzählen, dass du einen großen Schwarzen kennst. Dir liegt daran, mir zu sagen, dass du weißt, dass es unter den Schwarzen große Männer gibt." – "Ach so?" – "Als wäre es eigentlich nicht selbstverständlich, dass es unter den Schwarzen große Männer gibt." – "Philippe, worauf willst du hinaus?" – "Es ist, als würdest du fragen, ob ich Djembé spiele." – "Dass du Djembé spielst." – "Weil Schwarze Djembé spielen." – "Spielst du Djembé?" – "Nein."
"Alle meinen hier sei ja einer verrückter als der andere. Selbst die Psychiaterin", sagt Yasmina Reza. "Ich weiß aber nicht, ob es hier um Verrücktheit geht. Ich habe keine Welt der Normalen und Abnormalen gemacht, sondern die Welt, wo James Brown Lockenwickler trug."
Kultur tröstet? Nein!
Paris. Heimat der französischen Schriftstellerin Yasmina Reza. Die meistgespielte lebende Autorin der Welt. Eine Frau, die die Öffentlichkeit meidet, in ihren Gesellschaftssatiren aber derselben den Spiegel vorzuhalten weiß. Eine Künstlerin, die die Kunst liebt und doch nicht blind überhöht. "Ich glaube nicht an die tröstende Kraft der Kultur. Aber an die bestimmter Kunstwerke. Das ist nicht das gleiche. Das Verschlingen von Kultur, in jede Ausstellung, in jeden Film gehen, alles lesen, halte ich nicht für tröstlich. Aber bestimmte Werke rühren wirklich an und dank des Spiegeleffektes spenden sie eine Art von Trost."

Was Reza schreibt, ist oft komisch und doch immer von tiefer Melancholie. Budapest vor dem Krieg. Von hier flieht Rezas Mutter, eine Violinistin, nach Paris. Dort trifft sie einen in Moskau geborenen jüdischen Iraner. Sie heiraten. Rezas Eltern fühlen sich wohl im bürgerlichen Paris. Genauso ihre Tochter. "Mein Land war zunächst das Land der Sprache, des Französischen. Wir waren ja fremd. Kein Land, keine Cousins, nichts. Es gab also nur eine wichtige Sache: die französische Sprache. Dazu waren meine Eltern Leute, die sich unbedingt assimilieren wollten. Also das hat sicher dazu beigetragen, dass ich Schriftstellerin geworden bin."
"Ich suche nach dem Lustigen in Situationen"
Wer sich anpassen will, muss beobachten, braucht ein Auge für Details. Rezas Geschichten sind voll davon. Hinter der Fassade der Kultiviertheit lauern versteckte Leichen, seelische Abgründe. In ihrem mit Hollywood-Besetzung verfilmten Theaterstück "Der Gott des Gemetzels" gibt es Dialoge wie diesen: "Ich finde es gut, dass unser Sohn ihrem Sohn in die Schnauze gehauen hat. Und ich wisch mir den Arsch mit Ihren Menschenrechten." – "Wow, sie kippen ein paar Drinks und bäm, schon kommt Ihr wahres Ich raus. Was ist aus der anmutigen, zurückhaltenden Frau mit dem sanften Blick geworden." – "Habe ich es dir nicht gesagt? Habe ich es dir nicht gesagt?" – "Was haben Sie ihm gesagt?" – "Dass sie falsch ist."
"Ich suche nach dem Lustigen in Situationen", sagt Reza. "Unbewusst. Ich sehe sofort, was lustig ist. Selbst bei einer Beerdigung. Die Dinge wären völlig ernst, wenn wir von Dauer wären. Da wir nicht ewig leben, da nichts ewig lebt, gibt es eine Verpflichtung zur Leichtigkeit." In ihrem neuen Stück verhandelt Reza nun das Thema der Stunde: Identität. Als psychiatrische Angelegenheit. Eine Kostprobe: "Dieser Vortrag hat mir gar nicht so richtig gefallen." – "Mir auch nicht." – "Nein." – "Hast du verstanden, was sie gesagt hat?" – "Nein. Und gefallen hat es mir nicht." – "Hah." – "Was ist bei dir hängen geblieben?" – "Nichts ist bei mir hängen geblieben." – "Im falschen Körper geboren. Ja, wer ist schon zufrieden mit seinem Körper?"
Nihilismus: ja. Bitterkeit: nein.

"Das steht bei Reza im Stück ganz eindeutig drin: Wir sind in dieser Institution", sagt Regisseur Philipp Stölzl. "Aber da steht kein Realismus dahinter. Also sie will gar nicht irgendwelche weißen Krankenhausgänge und Zwangsjacken und sie will nicht mal diesen Park, der auch eine große Rolle spielt im Stück, sondern sie will eigentlich eine offene Skizze. Die Dinge können so oder so oder so sein. Es lebt natürlich so vom Paradoxon und von der Widersprüchlichkeit und von dem Umstand, dass du eben nicht alles erklären kannst."
In "James Brown trug Lockenwickler" verliert das große "Wer bin ich?" stetig an Bedeutung. Alles ist eitel, flüchtig. Der Mensch wie die Kunst. Nihilismus: ja. Bitterkeit: nein. Es ist das Wunderbare an Rezas Werk, dass sie dem Bedeutungshunger unserer Zeit mit simpler Nonchalance begegnet. "Die beste Antwort hat einmal Borges gegeben. Er sagt: 'Ich schreibe für mich, ein paar Freunde und um den Lauf der Zeit zu versüßen.' Besser kann man es nicht sagen."
TIPPS
"James Brown trug Lockenwickler", Residenztheater München
"Der Gott des Gemetzels", F/D 2011, Regie: Roman Polanski, Constantin Film (DVD/Blu-ray)
Autor: Maximilian Sippenauer
Stand: 26.03.2023 17:42 Uhr
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