So., 26.03.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Give Peace a Chance – Frieden schaffen mit mehr Waffen?
Kinder aus Luhansk bei der Ankunft in Nowosibirsk. Waisenkinder, verschleppte Kinder. Krieg raubt Kindern die Eltern. Krieg erschafft Waisen, jeden Tag. Krieg produziert Tote, jeden Tag Hunderte. Jeder Krieg. In der Ukraine ist Putin der Aggressor. Er hat das Völkerrecht gebrochen, klar. Aber ist die militärische Lösung wirklich die einzig vernünftige? Ist alles andere weltfremd?
Philipp Ruch, Aktionskünstler

"In diesem Fall haben wir es mit einem Staat zu tun, der genozidale Absichten hat, der eine Bevölkerung vernichten möchte, das mehrfach dokumentiert hat, der dieses Land grundlos angegriffen hat. Und in diesem Falle ist dieser Slogan 'Frieden schaffen ohne Waffen' hochgradig naiv."
Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler

"Uns wird immer vorgeworfen, naiv zu sein. Ich finde es naiv zu glauben, durch immer gesteigerte Waffenlieferungen Frieden schaffen zu können. Das ist eine Illusion. Ich hoffe auf eine Öffentlichkeit in der Bundesrepublik, die diesem durchaus grassierenden Salon-Bellizismus entgegentritt."
Michael Krüger, Schriftsteller

"Man muss Waffen liefern. Da ist ein Mensch, der angegriffen wird. Vor unserer Tür. Mein Freund Andruchowytsch, der Schriftsteller, wenn es an seiner Tür klingelt und es steht jemand draußen mit einer Waffe und sagt: 'Bitte verlassen Sie das Haus, verlassen Sie das Land. Es wird ab jetzt hier nur noch Russisch gesprochen.' So wie in Litauen und Estland nur Russisch gesprochen wurde. Ja, was ist dann? Dann soll er gehen? Oder soll er sich verteidigen? Er muss sich verteidigen. Es ist ja sein Haus."
Margot Käßmann, Theologin

"Es ist ein Argument, das ich höre, es sei ein Akt der Nächstenliebe, Waffen zu liefern. Aber dann muss ich doch sagen als Christin vertraue ich Jesus von Nazareth, der gesagt hat: 'Steckt das Schwert an seinen Ort.' Er wollte nicht mit Gewalt verteidigt werden. Das kannst du natürlich keinem anderen zumuten. Aber die Christen müssen doch diese Stimme sein, meine ich, die zum Frieden mahnt. Und das ist mir sehr bewusst, ganz persönlich auch, dass ich schuldig werden kann, wenn ich gegen Waffenlieferungen plädiere. Das ist eine Frage der eigenen Demut auch. Aber ich denke, dass auch Menschen, die so vehement für Waffenlieferungen plädieren, nicht einfach sagen können: Waffen schützen Leben. Sondern sich auch klar machen müssen: Waffen töten eben auch."
Marina Owsjannikowa, Journalistin

In den ersten Wochen des Krieges hält Marina Owsjannikowa ein Anti-Kriegsplakat im russischen Fernsehen hoch.
"Die Ukrainer können ihr Land nicht mit leeren Händen verteidigen. Es ist unmöglich mit bloßen Händen zu kämpfen. Die Ukrainer verteidigen nicht nur ihr Land. Sie verteidigen die Zukunft der gesamten zivilisierten Welt. Sie verteidigen die Zukunft aller Menschen. Sie verteidigen die Freiheit. Und man kann sogar sagen: Sie kämpfen für eine normale Zukunft Russlands. Darum sehe ich in diesem Moment leider keinen anderen Weg als Waffenlieferungen an die Ukraine."
Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler
"Die Losung nach 1945 'Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!' hat zumindest für mich immer eingeschlossen, dass nie wieder deutsche Panzer auf Russen schießen dürfen. Und dass man sich heute rechtfertigen muss, wenn man einen Waffenstillstand und sofortige Friedensverhandlungen fordert, aber nicht rechtfertigen muss, wenn man immer mehr Waffen liefern will: Das halte ich für paradox!"
Philipp Ruch, Zentrum für Politische Schönheit
"Ich sehe schon einen Punkt, dass man Frieden sofort schaffen kann: mit dem Sturz Putins. Also, wir müssen vielleicht mehr über die Beseitigung Putins nachdenken. Ich weiß, es gibt dann so dieses Geraune. 'Ja, wir wissen ja nicht, wer danach kommt.' Aber schauen Sie sich mal an, was wäre denn mit dem Sturz Hitlers gewesen? Mit der Beseitigung Hitlers wäre beispielsweise Stauffenberg erfolgreich gewesen. Was wäre daraus gefolgt? Ein kriegerischeres Deutschland konnte es nicht geben. Und ich kann mir auch ehrlich gesagt kein noch militarisierteres Russland vorstellen."
Sahra Wagenknecht, Politikerin

"Einfach nur keine Waffen schaffen noch keinen Frieden. Frieden hat man erst, wenn man Gespräche und erfolgreiche Verhandlungen hat. Aber umgekehrt sehen wir ja auch: Frieden schaffen mit Waffen funktioniert auch nicht. Die Waffen führen uns einem Friedensschluss ja keinen Schritt näher, sondern sie führen einfach nur dazu, dass jeden Tag Hunderte sterben, der Krieg verlängert wird Monat für Monat. Die Front bewegt sich kaum noch und ich sehe nicht welches Konzept diejenigen, die für Waffenlieferungen werben, haben diesen Krieg zu beenden, außer das, was sie vor sich hertragen: den totalen Sieg. Russland wird niedergerungen. Also, ich möchte mir nicht vorstellen, wie eine Atommacht reagiert, wenn sie wirklich in die Knie gezwungen wird. Ich glaube, das sollte man nicht ausprobieren."
Frank Biess, Historiker

"Meiner Einschätzung nach hat das ganz klar das Potenzial für einen Weltkrieg. Und es ist wahrscheinlich die gefährlichste Situation, in der wir uns seit 1945 befunden haben."
Hanna Schygulla, Schauspielerin

"Also ich habe noch den Satz meiner Mutter im Ohr als ich ein kleines Kind war, die hat zu mir immer gesagt: 'Hannchen, ich sag dir mal was. Das Schlimmste, was es gibt, ist Krieg. Merk dir das.'"
Philipp Ruch, Aktionskünstler
"Frieden. Das hört sich immer so lieblich an und als ob das alle wollten. Aber ich möchte das nicht. Ich will Gerechtigkeit. Also das, was hier passiert ist, das sind unfassbare Verbrechen schon jetzt, nah am Grad der Unverzeihlichkeit. Und wenn sie jemand verzeiht, dann sitzen diese Menschen in der Ukraine, die das tun können. Wir können nicht so großmütig und großzügig sein, über deren Köpfe hinweg russische Verbrechen, Kriegsverbrechen, genozidale Kriegsverbrechen zu verzeihen."
Sahra Wagenknecht, Politikerin
"Ich finde, dass man jetzt versuchen muss, im UkraineKrieg einen Waffenstillstand zu erreichen, ohne Vorbedingungen. Ohne Vorbedingungen, weil alles andere unrealistisch ist. Also, klar würde ich mir auch wünschen, Putin zieht seine Truppen zurück, wird er aber so ohne weiteres nicht machen. Also kann man erst mal nur erreichen, dass die Front eingefroren wird, dass die Waffen schweigen und dass dann verhandelt wird darüber, wie der Status des Donbass ist. Es ist ja nichts entschieden auf dem Schlachtfeld und es wird wahrscheinlich auch nichts entschieden. Es wird nur gestorben."
Michael Krüger, Schriftsteller
"Man kann nicht von der Ukraine erwarten, dass sie jetzt mit ausgestreckten und leeren Händen ohne Waffen auf Russland zugeht und sagt: 'Jetzt setzen wir uns mal zusammen und überlegen, wie wir aus dieser entsetzlichen Situation rauskommen.' Das kann man nicht erwarten. Das ist sozusagen staatsmoralisch unmöglich."
Hanna Schygulla, Schauspielerin
"Ich denke in erster Linie an die Bevölkerung in der Ukraine. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass Selenskyi auch grössenwahnsinnig ist oder wird. Vielleicht auch aus Notwendigkeit an einen Sieg zu glauben oder ihn ständig zu verkünden. Wenn er mal nicht immer diese Siegesbotschaft streuen würde, würde man vielleicht auch im Land selbst auch bereit sein, sich diesem Schicksal zu fügen, dass es eben noch mal eine schmerzhafte Amputation der der Ukraine geben wird. Aber die kommt sowieso."
Philipp Ruch, Aktionskünstler
"Ich fürchte, die wesentliche Erkenntnis ist, dass Frieden gerade überhaupt nicht zur Debatte steht. Warum nicht? Weil einer der beiden Akteure und das ist in dem Fall ganz sicher das russische Regime, gar keinen Frieden will."
Margot Käßmann, Theologin
"Persönlich muss ich sagen, dass ich die Diffamierung derjenigen, die für Waffenstillstand und gegen weitere Waffenlieferungen plädieren, schon sehr irritierend finde. Gerade in einer Demokratie. Da wird von Vulgärpazifismus geredet, von Lumpenpazifisten. Oder wer für den Frieden demonstriert, ist die fünfte Kolonne Wladimir Putins und hat nicht verstanden, wer der wirkliche Aggressor ist. Ich denke, in einer Demokratie muss es möglich sein, dass es unterschiedliche Positionen gibt. Ich respektiere ja diejenigen, die sagen, mit Waffen muss sich die Ukraine verteidigen können, deshalb liefern wir. Ich verstehe die Argumente. Aber genauso erwarte ich Respekt dafür, dass andere Menschen andere Argumente haben und sagen: 'Ich bin dagegen, dass immer mehr Waffen gerade auch aus Deutschland in ein Krisen- und Kriegsgebiet geliefert werden.' Denn jahrzehntelang haben wir gesagt, das sollte aus Deutschland nicht passieren."
Autor: Andreas Krieger
Stand: 31.03.2023 14:02 Uhr
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