SENDETERMIN So., 22.01.23 | 23:05 Uhr | Das Erste

Gefahr für unsere Demokratie

Drohen neue Bürgerkriege?

PlayEin Mann wirft einen Metallabsperrung auf einen großen, schwarzen Truck.
Gefahr für unsere Demokratie – Drohen neue Bürgerkriege? | Video verfügbar bis 22.01.2024 | Bild: picture alliance / AA | Joedson Alves

Noch nie waren die westlichen Demokratien so gefährdet wie heute – sagt die amerikanische Politologin Barbara F. Walter in ihrem neuen Buch "Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen". Die Autorität des Staates wird unterhöhlt, Gewalt immer mehr als Mittel zum Erreichen politischer Ziele akzeptiert. Das zeigen nicht nur die jüngsten Ereignisse nach der Präsidentschaftswahl in Brasilien. In den USA hat gerade ein republikanischer Politiker offenbar bewaffnete Angriffe auf Demokraten in Auftrag gegeben, und die Ermittlungen gegen die "Reichsbürger" in Deutschland lassen auch hierzulande aufhorchen. ttt fragt nach bei der ausgewiesenen Expertin für gewaltsame Auseinandersetzungen: Wie sehr stehen die westlichen Demokratien auf der Kippe – und was ist zu tun?

Stehen westliche Demokratien auf der Kippe?

Barbara F. Walter lächelt in die Kamera.
Noch nie waren die westlichen Demokratien so gefährdet wie heute, meint Politologin Barbara F. Walter. | Bild: Debora Cartwright

"Seit 2010 ist die Demokratie fast überall auf dem Rückzug. Das ist beunruhigend," sagt Walter. "Umso beunruhigender, weil wir zum ersten Mal sehen, dass auch die liberalsten, die stärksten Demokratien abbauen." Am meisten gefährdet sind die Länder, die sich irgendwo zwischen Demokratie und Autokratie bewegen. "Wir holen uns die Macht zurück," sagte Boris Johnson. Das offene Bekenntnis zur Macht – um der Macht willen. Von immer mehr Politikern ungeniert gezeigt. Überall werden Bilder bedient, Gedanken geäußert, die noch vor nicht allzu langer Zeit fast unvorstellbar waren. Immer die gleiche Mischung aus Zynismus, Ideologie und Kalkül.

"Bolsonaro ist ein Opportunist. Trump ist ein Opportunist. Erdogan ist ein Opportunist. Orban ist ein Opportunist. Und sie haben gelernt, dass man nicht putschen muss, um die Kontrolle über die Staatsgewalt zu bekommen," so Walter. "Wenn eine Demokratie schwach genug ist, kann man sich rechtmäßig wählen lassen, und dann langsam die demokratischen Institutionen aushöhlen, die im Grunde die Macht zähmen."

Gründe für die Radikalisierung: gesteuerte Medien

Die Gründe für diese Radikalisierung sind nicht schwer zu ergründen: gesteuerte Medien, aber vor allem die "sozialen Medien". Nichts befriedigt die Algorithmen mehr als Hass, Missgunst und Verschwörungserzählungen. Soziale Medien funktionieren am besten, wenn wir ständig Angst haben, etwas zu verpassen. Erst recht, wenn es um unsere Existenz gehen könnte. "Die fünf größten Technologieunternehmen der Welt sind allesamt amerikanische Firmen," erklärt Walter. "Wir haben absolut keine Kontrollmechanismen für soziale Medien, obwohl jede andere Form von Medien in den USA beaufsichtigt wird. Diese fünf Unternehmen könnten reguliert werden, es müsste nicht mal im großen Stil sein."

Der 6. Januar 2021: Ein Weckruf?

Das Cover von "Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen"
Das neue Buch der amerikanische Politologin Barbara F. Walter: "Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen". | Bild: Hoffmann und Campe

Am 6. Januar 2021 traf das ein, was Barbara F. Walter schon lange befürchtet hatte. Fast eine Erleichterung: "Jedes Mal, wenn ich sagte, dass sich die USA auf einen gefährlichen Weg begeben, sahen mich die Leute an, als sei ich verrückt. Sie konnten einfach nicht glauben, dass es in diesem Land zu einem zweiten Bürgerkrieg kommen würde. Nichts, was ich sagte, konnte ihre Meinung ändern. Dann geschah der 6. Januar." Ein Weckruf? "Mein Mann und ich sind beide Politikwissenschaftler. Wir haben verstanden, wie beispiellos und gefährlich es ist, einen Präsidenten zu haben, der versucht, eine friedliche Machtübergabe zu verhindern. Also haben wir unsere Pässe erneuert. Wir wollten sichergehen, dass wir, falls nötig, das Land wirklich verlassen könnten."

Wie sieht es in Deutschland aus?

Und bei uns in Deutschland? Eines der Hauptargumente von Walter ist, dass fast niemand einen Staatsstreich kommen sieht. Wenn die Aufrührer zum ersten Mal sichtbar sind, ist es meistens zu spät. Ende letzten Jahres: hunderte Hausdurchsuchungen, bei denen Waffen beschlagnahmt werden und 23 mutmaßliche Mitglieder der Reichsbürgerszene verhaftet. Mitten in Deutschland: Bilder wie aus einem Bürgerkrieg.

"Diese rechtsextreme Gruppe in Deutschland wächst vor allem, weil Geflohene aufgenommen werden. Diese Gruppierung will nicht, das Deutschland multiethnisch wird. Es soll ein Land für Weiße sein – genauso wie es solche Gruppen in Amerika verlangen." Unsere Demokratie ist gefährdeter, als wir vielleicht denken. Walter warnt davor, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Die Umstände ändern sich heutzutage ziemlich schnell.

Anmerkung der Redaktion: Im Beitrag nennen wir leider eine falsche Jahreszahl. Der Sturm auf das Capitol war am 6. Januar 2021 und nicht 2022. Wir haben die Angabe hier im Internettext korrigiert. Wir möchten uns für diesen Fehler entschuldigen.

"Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen"
von Barbara F. Walter
ISBN: 978-3-455-01511-9
Preis: 17,99 Euro

(Beitrag: Michael McGlinn)

Stand: 23.01.2023 11:25 Uhr

6 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt an die Zuschauerredaktion unter info@ard.de. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 22.01.23 | 23:05 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
für
DasErste